Zukunft globaler Kooperation – Konferenz in Duisburg diskutiert Strategien für ein komplexes Forschungsfeld

An der zentralen wissenschaftlichen Einrichtung der Universität Duisburg-Essen geht es bereits seit sechs Jahren um ein besseres wissenschaftliches Verständnis dessen, "was die Welt im Innersten zusammenhält". Dieses Erkenntnisstreben wird am Käte Hamburger Kolleg als gemeinsamer Arbeitsprozess von Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftlern organisiert, die für 6 bis 12 Monate nach Duisburg kommen und sich hier, von Lehrverpflichtungen freigestellt, ganz ihren Forschungsthemen und -publikationen widmen können.
Die weltweiten politischen Entwicklungen der letzten Jahre haben das noch junge Forschungsfeld zur globalen Kooperation in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt und die Forschungsaktivitäten intensiviert, aber auch neue Fragen aufgeworfen und Korrekturen der bisherigen Ansätze notwendig gemacht. Denn die internationale Politik kann als ein Rahmen verstanden werden, der sich fortwährend in Bewegung befindet. Umbrüche und Veränderungen sind nicht Ausnahmen, sondern eher die Regel. Wie aber forschend damit umgehen? Die Wissenschaft hat diese "Fluidität" in der Entwicklung von Systemen oft nicht ausreichend berücksichtigt. Ein durchgängiges Plädoyer der anwesenden Experten galt daher auch einer Erweiterung statischer Modelle um dynamische Komponenten, einer Berücksichtigung historischen Entwicklungen und Prozessverläufen. Bestätigt wurde das Kolleg darin, in seiner Kooperationsforschung die politische Sphäre nicht isoliert, sondern in ihren Wechselwirkungen mit anderen gesellschaftlichen und kulturellen Prozessen zu untersuchen.
Als Auftakt der Konferenz stellten die Direktor*innen der vier zentralen Themenbereiche des Zukunftsprogramms vor. Zukünftig wird sich das Kolleg verstärkt der Erforschung von Pfaden und Mechanismen der globalen Kooperation, globaler Kooperation unter Bedingungen polyzentrischer Governance, Fragen der Kritik, Rechtfertigung und Legitimität sowie der globalen Kooperation im Kontext unterschiedlicher Weltordnungsvorstellungen widmen. Nach einer lebhaften Diskussion folgte ein öffentlicher Vortrag von Michael Zürn, Direktor am Wissenschaftszentrum Berlin und Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirats des Kollegs zum Thema "Global Governance in Hard Times". In den folgenden beiden Tagen wurden die vier Themenlinien der Konferenz auf Panels und in sich anschließenden Breakout-Gruppen eingehend diskutiert. Das Feedback der Panellisten, Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurde abschließend für die jeweiligen thematischen Linien zusammengefasst.
Die Beiträge zum Themenfeld "Pfade, Mechanismen und Trajektorien: Eine Prozessperspektive auf globale Kooperation“ behandelten die Frage, wie der Prozesscharakter und damit auch die zeitliche Dimension globaler Kooperation genauer in seinen Wirkungen auf die Ergebnisse analysiert werden kann. Impulsbeiträge diese Panels kamen von Matthew Hoffmann, Tine Hanrieder, Susan Sell and Wolfram Kaiser. Die Forschung sollte hier, u.a. auch durch die Zusammenarbeit mit Kolleg*innen aus der Geschichtswissenschaft und Soziologie, die zeitliche Dimension stärker in den Blick zu nehmen, um zum Beispiel Rekursivität theoretisch und empirisch genauer zu untersuchen, wie Sigrid Quack, Geschäftsführende Direktorin des Kollegs, in ihrer abschließenden Zusammenfassung hervorhob. Zugleich wurde angeregt, in Prozessen der globalen Kooperation stärker zwischen verschiedenen Akteurstypen zu differenzieren, weil Individuen, Organisationen und Institutionen möglicherweise mit unterschiedlichen Zeithorizonten agieren, die zu Konflikten führen können. Schließlich seien auch die Wechselwirkungen zwischen öffentlichen Diskursen und dem Wandel von Institutionen entlang von Pfaden der globalen Kooperation zu untersuchen.
Die Beiträge des zweiten Themenfelds "Globale Kooperation im Kontext polyzentrischer Governance" fokussierten darauf, wie globale Kooperation in einem immer komplexeren Umfeld möglich ist, das durch die wachsende Beteiligung nicht-staatlicher Akteure, die Vervielfältigung von Entscheidungsarenen und -ebenen und konkurrierende Autoritätsansprüche gekennzeichnet ist. Impulsreferate von Andrea Nightingale, Fariborz Zelli und Kenneth Abbot eröffneten lebhafte Diskussionen im Plenum und den Breakout-Gruppen. In seiner Zusammenfassung wies Kodirektor Dirk Messner darauf hin, dass Organisations- und Governance-Strukturen nicht einfach gleichgesetzt werden können. Die digitale Sphäre etwa, ein Policy-Feld der künftigen Forschung des Kollegs, bietet kein einheitliches Bild: sie fungiert als Multiplikator und erzeugt somit polyzentrische Strukturen, kann aber auch verteilte organisatorische Strukturen - etwa durch Hierarchisierung der Entscheidungswege - herausfordern. Polyzentrische Entwicklungen werfen in besonderer Weise normative Fragen auf nach Macht(-verteilung), Legitimation und ungleichen Partizipationschance auf. So gehören Fragmentierung und unklare Verantwortlichkeiten zu den Herausforderungen, die mit polyzentrischer Governance einhergehen.
Im dritten Themenbereich "Kritik, Rechtfertigung und Critique, Justice and Legitimacy around Global Cooperation" geht es in den Worten des neuen Kodirektors Jan Aart Scholte um die Frage, "wie die Einrichtungen der globalen Zusammenarbeit aus Sicht der einzelnen Bürgerinnen und Bürger angemessen und auch rechtens arbeiten sollen, damit man sie auch der Unterstützung, Zustimmung und Mitarbeit für wert erachtet und die Spielregeln eingehalten werden.“ Die Impulsreferate kamen von Steven Bernstein, Heba Raouf Ezzat und Jens Steffek. Panelist*innen und Teilnehmer*innen hoben die Dringlichkeit der Beschäftigung mit diesem Themenfeld hervor. Dazu gehöre eine ernsthafte Diskussion über post-koloniale Theorie und, hier erneut betont, mehr Aufmerksamkeit für Machtfragen bzw. Fragen der Inklusion/Exklusion. Um ein besseres Verständnis der Quellen von Legitimität zu entwickeln, seien nicht nur institutionelle Dynamiken, sondern auch soziale Strukturen zu betrachten. Das Thema der politischen Legitimation scheint auch interdisziplinäre Forschung in besonderer Weise nahezulegen. Das mag an den normativen Aspekten des Themas liegen, aber auch an den untersuchten Legitimationsstrategien, die sich unterschiedlichster Medien"räume" bedienen.
Die Demokratie ist ein Konzept politischer Partizipation und Repräsentation, das in den vergangenen Jahren zunehmend in der Kritik stand, teils im Namen eines Neo-Autoritarismus, teils im Namen populistischer Gemeinschaftsvorstellungen. Auch diese Entwicklung ist ein Forschungsgegenstand der globalen Kooperationsforschung. Ein Teilnehmer hat die neue Strategie der Volksrepublik China als eine neo-liberale Form der Globalisierung ohne Demokratie bezeichnet. Andere sehen in Chinas neuer Seidenstraße ein vielversprechendes Modell globaler Kooperation. Im vierten Themenbereich "Globale Kooperation und konkurrierende Weltordnungskonzepte" standen diese Fragen im Zentrum. Die Impulsbeiträge kamen von L.H.M. Ling, Pablo Holmes, Pinar Bilgin und Rosalba Icaza Garza. Die Tatsache miteinander konkurrierender Weltordnungskonzepte fordert eine Fähigkeit heraus, die Ling als "moralische Vorstellungskraft" bezeichnet hat. Doch auf welche Weise werden diese Ideen handlungsrelevant und motivieren etwa die Bildung robuster institutioneller Systeme? Im Mittelpunkt der Beiträge des Podiums und auch der anschließenden Breakout-Gruppen standen Alternativen zum System des westfälischen Staatenordnung. Fragen der Herkunft, der Wünschbarkeit und Machbarkeit dieser Alternativen wurden kontrovers diskutiert. Forschungsbereichsleiter Volker Heins wies in seiner Zusammenfassung darauf hin, dass sich die westfälische Staatenordnung historisch gegen bestimmte Alternativen durchgesetzt habe und mehr sei als eine bloße Weltordnungsvorstellung. Eine grundlegende Frage der Kooperationsforschung lautet dann: Könnte es sein, dass in Zukunft unterschiedliche Konzepte von Weltordnung wieder miteinander in Konkurrenz treten? Werden sie komplementär koexistieren können oder kommt es zu Antagonismen?
"Die engagierte Diskussion dieser drei Tage und das positive Echo auf die Forschungslinien des Zukunftsprogramms ermutigen uns sehr", stellte die Geschäftsführende Direktorin des Kollegs, Professor Sigrid Quack, erfreut fest. "Bestärkt durch die vielen konstruktiven Anregungen können wir uns nun während der kommenden sechs Jahre gemeinsam mit internationalen Fellows der Erforschung dieser wichtigen Fragen widmen."