G20: Was auf dem Spiel steht

Angesichts des Brexit, der andauernden Finanzkrise in Griechenland und des Aufstiegs von Populismus und rechten Parteien in etlichen Staaten steckt die Europäische Union in einer tiefen Vertrauens- und Legitimationskrise. Die USA ziehen sich im Zuge von Präsident Trumps „America first“-Doktrin von ihrer Rolle als Schutzpatron der internationalen Staatengemeinschaft mehr und mehr zurück, wie am Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen deutlich wird. Gleichzeitig haben sich Schwellenländer wie China, Indien oder Südafrika als neue Geber etabliert und stellen eine Alternative zum verstaubten internationalen Entwicklungshilfesystem dar.
Think Tanks stehen in diesen Tagen ganz besonderen Herausforderungen gegenüber. Sie erarbeiten Empfehlungen, aus denen Narrative und Begriffe in den Diskurs um planetare Probleme eingehen. Natürlich wären sie glücklich, wenn einzelne und sogar gemeinsame Statements während des Gipfels ihre Bemühungen und die durch sie vorangebrachten Themen reflektierten.
Noch mehr würde ihnen gefallen, wenn die fast schon institutionalisierte Spaltung zwischen Kopf (Think Tanks) und Hand (staatliche und nichtstaatliche Akteure) nicht noch weiter durch eine Trennung von Stimme und Hand erschwert wird, zwischen Konzeption und strategischer Zielsetzung und dem, was letztlich den Bürgern, der Öffentlichkeit, den Medien mitgeteilt wird.
Haben wir angemessen über globale Kooperation gesprochen? Über Win-Win-Situationen und Wir-Identitäten, über transnationale Visionen und über neue (nichtstaatliche) Akteure mit globalen Ansprüchen und Horizonten? Und nicht zuletzt über fundamentale Herausforderungen für die liberale Weltordnung?
Um zu verstehen, welche Themen überhaupt in das Design des Gipfels hineinpassen, hilft ein Blick auf den G20 Gipfel selbst und den Think20-Dialogprozess. Generell können drei Ebenen ausgemacht werden, denen der Gipfel höchstwahrscheinlich dient:
1. Mehr am Rande ist der Gipfel auch Plattform für eine polyzentrische Governance: So werden die Krisenherde Nordkorea, Katar und Syrien Gegenstand von aufeinanderfolgenden Gesprächen in kleinen Runden sein.
2. Der Gipfel dient auch dazu, zentrale regionale Herausforderungen zu identifizieren und zu benennen: etwa die zukünftigen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Afrika oder die empfindliche Balance von Einflusszonen im südchinesischen Meer. Nicht zuletzt wird auch die Europäische Union selbst auf die Probe gestellt werden. Das Auftreten eines identitären Diskurses ist auf dieser Ebene am wahrscheinlichsten.
3. Schließlich befasst sich der Gipfel mit globalen Herausforderungen wie Klima, Energie und Ressourcen und nicht zuletzt dem Finanzsystem (ursprünglicher Zweck der G20). Wird der Gipfel in Bezug auf die globale Dimension die nötige Reife zeigen? Oder werden Egoismus und persönliche Empfindlichkeiten der Staats- und Regierungschefs die Wahrnehmung und den Diskurs dominieren? Wenn dem so ist, wird die Erinnerung an das Pariser Klimaabkommen von 2015 das Format im Kern entzaubern. Das ist es, was nach unserem Verständnis auf dem Spiel steht.
Auf allen drei Ebenen hat das G20-Format Verdienste hervor gebracht. Es ist aber ebenso klar geworden, dass die Unzulänglichkeiten in beachtlichem Maße systemischer Natur sind. Die Zusammensetzung des Clubs was in Teilen willkürlich, zwar ein Schritt in die richtige Richtung, jedoch noch weit weg von der Inklusivität, die man sich wünschen mag. Diese Art der Diskrepanz ist die Basis dessen, was wir auch in Hamburg sehen werden: eine Gala der politisch Mächtigen und jegliche Formen des Protests, von intellektuell bis gewalttätig.
Die Gipfelorganisatoren, die sich des allzu abgeschlossenen Charakters der Veranstaltung durchaus bewusst sind, banden Dialogpartner ein, welche Anregungen aus der Zivilgesellschaft und dem Privatsektor, der Wissenschaft und der Wirtschaft in den Prozess einfließen lassen konnten. Diese Partner trugen im Vorfeld des Gipfels die Statements und Empfehlungen zusammen und werden die Communiqués sicherlich bereichern. Sie haben außerdem die Chance, ein Bewusstsein für die Themen zu schaffen, für die sie im Rahmen der Medienberichterstattung zum Gipfel Lobbyarbeit betreiben. Dadurch können sie den gesamten Diskurs erheblich erweitern und bereichern.
Auf diese Weise betreiben sie natürlich auch eine Form der Eigenwerbung. Forschung und Anwendung von Wissenschaft sind weltweit betrachtet in keiner Weise fair verteilt. Think Tanks, die sich selbst als „first mover“ verstehen, werden der Herausforderung gegenüber stehen, die Landschaft der Experten und Institutionen mit mehr Willen zu regionaler Inklusion zu gestalten; dies gilt generell gerade auch für die Geisteswissenschaften. Der Kopf selbst sollte verstanden werden als eine global verteilte Polyzentralität, die dann erfolgreich ist, wenn Unterschiede nicht reduziert sondern wertgeschätzt werden und zum geteilten Wissen beitragen.
T20 present proposals for G20 to German government
http://www.t20germany.org/2017/06/15/20-solutions-g20/
T20 Engagement Group
http://www.g20-insights.org/