Globalisierung als Humanitäre Herausforderung 4: »Der Klimawandel löst Flucht und Vertreibung aus«

Juliana Fischer: Wird der Klimawandel zu einem zentralen Auslöser von Migration und Vertreibung?
Dr. Stephen Adaawen: „Ja natürlich! Der Klimawandel hat bereits Veränderungsprozesse der globalen Umwelt- und Klimabedingungen in Gang gesetzt. Diese Veränderungen haben extreme klimatischen Ereignisse, Umwelt- und Naturkatastrophen ausgelöst. Insbesondere die Menschen im Globalen Süden erfahren schon heute die Auswirkungen der globalen Erwärmung und die damit verbundenen klimatischen Veränderungen auf ihre Lebensgrundlage und sind mit Vertreibung konfrontiert. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass ihre Lebensgrundlagen stark vom Klima abhängen und sehr verwundbar gegenüber Umwelt- oder Klimaveränderungen sind. Die Schlüsselfaktoren, die Vertreibung und die Entscheidung, aufgrund von klimatischer Bedingungen zu migrieren, sind Anpassungsfähigkeit und Resilienz. Sind Menschen widerstandsfähig und in der Lage, sich klimatischer Bedingungen anzupassen, lassen sie sich nicht von ihnen vertreiben.“
Juliana Fischer: Wie muss die Entwicklungszusammenarbeit auf diesen Umstand reagieren?
Dr. Stephen Adaawen: „Arme Staaten sind stark von den negativen Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Der Großteil der Treibhausgase wird allerdings von den Industriestaaten auf Kosten der armen Staaten ausgestoßen. Als Schöpfer dieser globalen Ungerechtigkeit legen sich die Industriestaaten die moralische Pflicht auf, durch großflächige finanzielle Unterstützung die Resilienz und Anpassungsfähigkeit von Entwicklungsländern zu stärken.“
Juliana Fischer: Welche Rolle spielt die EU im Kontext von Migration und Klimawandel?
Dr. Stephen Adaawen: „Die Lebensgrundlage vieler Menschen ist bedroht. Dies hat enorme Auswirkungen auf Armutsbekämpfung, Sicherheit, Flucht und Vertreibung. Für diejenigen, die sich nicht an den Klimawandel anpassen können, wird Migration oft zur Alternativen. Während die Mehrheit derer, die häufig vertrieben werden, dazu neigt, sich innerhalb nationaler Grenzen zu bewegen, können die Auswirkungen des Klimawandels die verzweifelten Versuche, junger Menschen, Europa zu erreichen, in naher Zukunft sogar noch verschärfen. Natürlich kann Europa nicht alle Migranten aufnehmen, sie vor den Toren Europas auszuschließen ist allerdings auch keine Lösung. Viel wichtiger wäre ein gesteigertes Engagement beim Aufbau lokaler Kapazitäten und die Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel in Entwicklungsländern. Mithilfe dieses Ansatzes könnte das Potenzial für eine verstärkte klimabedingte Migration von Menschen aus Subsahara-Afrika nach Europa bewältigt werden.“
Juliana Fischer: Können globale Kooperationsbemühungen die Situation von Klimaflüchtlingen verbessern?
Dr. Stephen Adaawen: „Ein wichtiges Thema, das die Aufmerksamkeit vieler globaler Entscheidungsträger auf sich gezogen hat, ist die nach wie vor bestehende gravierende Lücke hinsichtlich der Anerkennung und des Schutzes von Klima- oder Umweltflüchtlingen im internationalen Recht. Die Flüchtlingskonvention von 1951, eigentlich die rechtlich bindende Verpflichtung zum Schutz Geflüchteter, schweigt sich über Klimaflüchtlinge aus.
Allerdings gibt es in jüngerer Zeit positive Entwicklungen, wie etwa die von Norwegen und der Schweiz angeführte Nansen Initiative. Sie fördert die Zusammenarbeit bei der Verbesserung einer Schutzagenda für Menschen, die durch klimabedingte Ereignisse oder Katastrophen vertrieben werden. Länder, die Parteien der Initiative sind, setzen sich für die Notwendigkeit ein, die Rechte von Menschen zu berücksichtigen, die durch Umweltkatastrophen und Auswirkungen des Klimawandels vertrieben wurden. Dies gibt Anlass zur Hoffnung, da dies durchaus seinen Weg in den Rahmen der laufenden Verhandlungen über einen Global Compact for Migration finden kann."
Juliana Fischer: Sie erforschen insbesondere regionale Migrationsdynmiken in Westafrika. Wie wirkt sich der Klimawandel hier auf regionale Migrationsbewegungen aus?
Dr. Stephen Adaawen: "In Westafrika war Migration seit jeher ein definierendes gesellschaftliches Merkmal. Aber die Verschlechterung der Umweltbedingungen in der Sahelzone hat nicht nur die landwirtschaftlichen Lebensgrundlagen beeinflusst, sondern auch die Bewegung von Menschen, insbesondere von nomadischen Hirten aus den trockeneren Gebieten zu feuchten Waldgebieten in den Süden, verstärkt. Die daraus resultierende Konkurrenz um fruchtbares Weideland und Wasser war oft der Grund für Auseinandersetzungen und in den meisten Fällen gewaltsame Konflikte zwischen Bauern und Hirten. Solche Situationen haben tendenziell Auswirkungen auf die nationale Sicherheit, die Stabilität und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der gesamten Subregion.“
Dr. Stephen Adaawen ist Postdoc Fellow am Kolleg und Experte für die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Migration, sowie Migrations- und Bevölkerungsdynamiken in Westafrika.
Referenzen:
[1] UNHCR 2017: http://www.unhcr.org/news/latest/2016/11/581f52dc4/frequently-asked-questions-climate-change-disaster-displacement.html