Globalisierung als humanitäre Herausforderung 2:Der allgegenwärtige Klimawandel

um eine humanitäre Krise abzuwenden, müssen die Auswirkungen menschlichen Handelns umfassend prognostiziert werden, unter Berücksichtigung einer großen Zahl voneinander abhängiger Variablen. Klimaforschung ist so etwas wie die Königsdisziplin dieser Betrachtung.
Wenn der COP23-Prozess heute in Bonn startet, können zwei Einsichten am Anfang stehen: Klimaszenarios sagen uns, dass bereits so gut wie alle Aspekte der Entwicklung menschlicher Gesellschaften und des individuellen Wohlbefindens bereits begonnen haben, von dieser Entwicklung betroffen zu sein; dass aber der Klimawandel auch das erste Thema darstellt, zu dem Verhandlungen globalen Zuschnitts einen globaler Konsens herbeigeführt haben. Paris 2015 wurde für viele - und für viele Entscheider - bereits zum Rollenmodell künftiger globaler Verhandlungen und Konsensbildung im großen Stil.
Wie darüber reden? Wenn Forschungen Wanderbewegungen von Afrika über das Mittelmeer Richtung (Mittel-)Europa vorhersagen, sind die Fakten (Bevölkerungszahlen, Routen, Umweltparameter) nicht strittig. Aber man könnte auch eine andere Perspektive auf dieses Szenario wählen und anders über diese "10 bis 20 Millionen Menschen" reden: ihre Hungersnot, ohne ein eigenes Dach über dem Kopf, die Bedrohung durch Krankheiten, besonders bei den Kindern. Werden sie am Ende in den Lagern der Globalisierung durchgefüttert werden? Eine Prognose mit ähnlichem zeitlichen Horizont sagt weitreichende Gefahren für die Nahrungsmittelproduktion voraus -auch jenseits von Afrika, von Wasserknappheit bis zum Artensterben so wichtiger Lebewesen wie zum Beispiel Bienen. Dies bedroht die Reproduktion von Pflanzen in einem Umfang, der nach wie vor unterschätzt wird. Bienenkolonien sind ortsgebunden. Aber die Dezimierung von Arten geschieht grenzüberschreitend. Keine humanitäre Herausforderung? Global Erwärmung, globale Hitze, um genau zu sein, bedroht die wachsende ältere Bevölkerung, hier wiederum vor allem in Afrika, aber nicht nur dort. Der steigende Meeresspiegel gefährdet Touristenziele und viele wenn nicht die meisten pazifischen Inseln. Neuseeland sah sich kürzlich veranlasst, über ein Klimaflüchtlingsvisum nachzudenken. Wird diese Entwicklung, zusammen mit anderen, den internationalen Pass wiederbeleben? Wir werden uns mit dieser Frage demnächst näher befassen.
Eine Konferenz "Klimawandel und menschliches Wohlbefinden" ("Climate Change and Wellbeing") in Bonn gab Gelegenheit, die gegenwärtige Debatte näher in Augenschein zu nehmen.
Beobachtbar war eine wachsende Erwartung in Richtung der großen Player, die etwas bewegen können, der Wirtschaft. Das hat, wie so oft, zwei Seiten. Einerseits ist aufschlussreich, dass Investments vermehrt in Projekte zu erneuerbaren Energien fließen: ein eindeutig Signal dafür, dass dieses Marktsegment wächst (T.E. Morgan). Andererseits operieren Projekte riskanter Dimension mit Narrativen einer umweltverträglichen Sensibilität und planen zugleich Eingriffe in das Erdsystem von bislang unbekannter Tragweite (Janos Pasztor). Die Technikfolgen des "Solar Engineering" sind kaum zuverlässig progrostizierbar und, worauf John Rockström hinweist, diese Projekte sollten nicht dazu verleiten, die grundlegenden Aufgaben einer nachhaltigen Entwicklung aus den Augen zu verlieren. Eine dieser Hausaufgaben läge in einer umweltverträglichen Neuregulierung des gesamten internationalen Transportsektors (Christian Hochfeld). Ein grundlegendes regulatorisches Defizit wird hier offensichtlich: der Verzicht auf Elemente nationaler Souveränität zahlt sich heutzutage nicht mehr aus, weil die geografische Reichweite des Rechts mit der geografischen Reichweite des Marktes nicht mehr übereinstimmt (Ernst Ulrich von Weizsäcker). Der Markt entkommt der nationalen Gesetzgebung aufgrund der derzeitigen globalen Governance-Struktur. Oder besser gesagt, aufgrund eines offensichtlichen Defizits dieser Struktur (Jan Aart Scholte). Menschliches Wohlbefinden wird vom Klimawandel beeinflusst. Was aber macht man mit Vorhersagen, die Bevölkerungszahlen ins Spiel bringen? Unbequeme Fragen, die kombinierte Forschung und eine sensible Interpretation von Daten notwendig machen (Marc Fleurbeay). Es gab aber auch Optimismus, die Blockierung notwendiger Entwicklungen sei überwindbar (Thomas Hale).
Die Größendimension von Lösungen stellt ein systemisches Problem dar. Kleiner dimensionierte Eingriffe riskieren weniger. Wenn sie nach hinten losgehen, ist der Schaden wahrscheinlich ebenfalls geringer. Ein Gegenargument lautet, dass Kettenreaktionen sich quer über solch kleindimensionierte Systeme ausbreiten können. Ein interessanter Gedanke wurde gegen Ende der Konferenz von Moderation Andrew Revkin eingeführt. Er spielte mit der Idee, das Konzept einer "Vielfalt der Reaktionen" ("Responsive Diversity"), das aus der Erforschung von Überlebensstrategien in Ökosystemen stammt, auf Verhaltensmuster in einer vernetzten globalen Gesellschaft anzuwenden. Interessanterweise gab es ein dazu passendes Statement zu Narrativen. Im Anschluss an Pan Jia-Hua, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Kollegs, warnte der Makroökonom Dennis Snower in einem eindringlichen Plädoyer vor einer "Monokultur der Erzählungen".
Inmitten all dieser Diskussionen verkörperte ein Podiumsvertreter das Thema des Klimas als humanitäre Herausforderung, und er tat dies als Künstler mit seiner eigenen Geschichte: A.G. Saño, der den Supertaifun Haiyan (2013) durch einen Zufall überlebte, ist heute ein vielbeachteter Umweltaktivist.
Nach wie vor vielversprechend auch in der Globalisierung: eine besondere Idee haben, sie entwickeln, wo auch immer Sie sich gerade befinden (Garage, Wifi Hotspot oder auf einen verspäteten Zug der Deutsche Bahn wartend) und veröffentlichen. Das ist dann ihre ganz eigene Reaktion.
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Conference: Climate Action and Human Wellbeing at a Crossroads: Historical Transformation or Backlash?
Organized by: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) and the International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA)
Bonn (Königswinter) 4-5 November 2017
http://www.crossroadsbonn.org
Namen in Klammern beziehen sich auf Podiumsteilnehmer und deren Statements auf der Konferenz.
[Die deutsche Version des Memorandum ist in Kürze verfügbar, bis dahin verlinken wir das englische Original.]
Memorandum, präsentiert im Vorfeld der UN Climate Change Conference (COP23):
The Climate – Justice – Cooperation Nexus:
10 Cornerstones of the Great Transformation towards Sustainability
The Centre's panel on "Pluralism of World Order Concepts" was moderated by the Centre's new Director Sigrid Quack. Panellists: Thomas Hale, Janos Pasztor, former fellws Siddharth Mallavarapu and Jasdeep Randhawa.