Zwischen Fragmentierung und Kooperation: Global Goverance-Forschung des Kollegs auf der ECPR-Konferenz

Auf einem Panel "Zwischen Fragmentierung und Kooperation: Auf dem Weg zu einer vergleichenden Analyse der Trajektorien transnationaler Governance-Felder", organisiert und geleitet von der Direktorin des Kollegs, Sigrid Quack, wurden eine Reihe von Themenbereichen angesprochen. Micheline van Riemsdijk von der Universität Uppsala und derzeit Gastwissenschaftlerin am Kolleg, bewertete die globalen Migrationvereinbarungen ("compact on migration"), die derzeit von den Vereinten Nationen entwickelt werden. Ein gemeinsamer Global Governance Rahmen existiert hier (noch) nicht, während der Schutz von Migranten und Flüchtlingen unter verschiedene UN-Konventionen und -Agenturen fällt. Diese Komplexität wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass die internationale Migration auch auf regionaler Ebene gesteuert wird, zum Beispiel in der Europäischen Union, wo van Riemsdijk eine Europäisierung der Asyl- und Migrationspolitik konstatiert, wie sie etwa im Dublin-Abkommen zum Ausdruck kommt. Die Zivilgesellschaft und private Akteure haben an Einfluss gewonnen, während die Nationalstaaten einen Teil ihrer Verantwortung für Migranten und Flüchtlinge auf die Europäische Union und internationale Organisationen "verlagert" haben, "nach außen" in den Verantwortungsbereich zivilgesellschaftlicher Organisationen und privater Akteure und "nach unten" und in den Zuständigkeitsbereich lokaler Behörden. 2016 markierte die New York Declaration for Refugees and Migrants der Vereinten Nationen einen wichtigen ersten Schritt, um die stattfindende Differenzierung zu gestalten und gleichzeitig Kohärenz und Koordination auf allen Ebenen zu fördern.
Ein weiterer aktueller Gastwissenschaftler des Kollegs, Franz Maulshagen ("Scientific Uncertainty in Climate Change Governance") unternahm einen Blick in die Wissenschaftsgeschichte und diskutierte Beispiele dafür, wie CCG historisch mit dem Problem der wissenschaftlichen Unsicherheit umgegangen ist. Die Szenarioplanung habe sich in der Vergangenheit als ein wichtiges Instrument im Umgang - und der Kommunikation - mit Unsicherheiten erwiesen. Mauelshagen lieferte so anschauliche Beispiele dafür, wie Erkenntnisse aus epistemischen Gemeinschaften in einem verwandten Politikfeld präsentiert werden. Katja Freistein, Forschungsgruppenleiterin am Kolleg, ging - auf einem anderen Panel - noch einen Schritt weiter. Anhand von soziologischen Organisationsstudien und der Soziologie von Wissensansätzen identifiziert Freistein rituelle Aspekte sowie eine soziale Funktion von quantifiziertem bürokratischem Wissen und verbessert so unser Verständnis für den pfadabhängigen Zusammenhang zwischen epistemischer Produktion und institutioneller Politik.
Sigrid Quack betrachtet die funktionale Differenzierung von Governance als eine neuerliche Antwort auf die Komplexität der globalen Wirtschaft und der Weltpolitik. Diese Differenzierungs- und Koordinationsprozesse setzen sich innerhalb und über transnationale Themenfelder hinweg fort. Transnationale Governance wird auf der Grundlage des pragmatischen Institutionalismus konzipiert als Prozess des Institutionenaufbaus mit offenem Ende. Diese Trajektorien sollten aus der Längsschnittstudie von Interaktionsabläufen zwischen Akteuren und Institutionen in den jeweiligen Governance-Bereichen rekonstruiert werden. Quack demonstrierte diesen Ansatz in den Bereichen Arbeit, Forstwirtschaft, Buchhaltung und Open Access. Indem wir die Zeit- oder Prozessdimension ernster nehmen, entsteht Raum für eine neu fundierte Debatte über Wirksamkeit und Legitimität transnationaler Governance.
Bei dieser Debatte müssen Fragen des Aushandels und der Konkurrenz um solche Governance-Räume berücksichtigt werden. Jan Aart Scholte, Co-Direktor des Kollegs, trug zu einem Panel zum Thema "Old and New Authorities in Internet Governance" bei, das sich mit dem Übergang bei der IANA ("Complex Hegemony. The IANA Transition in Global Internet Governance") befasste. Betrachtet man diesen Vorgang, so zeigt sich eine reduzierte, aber immer noch bemerkenswert legitimierte Dominanz der US-Regierung (USG) bei der globalen Internet-Governance, wobei der relative USG-Rückzug bisher nicht einem anderen hegemonialen Staat Raum gab, sondern der verstärkten Hegemonie eines sektorübergreifenden globalen Elitennetzwerks, das sich selbst als "Multistakeholder-Community" (MSC) bezeichnet. Scholte identifiziert "komplexe Hegemonie", ein Seite an Seite von "hegemonialer materieller" und "ideeler Struktur": diese bilden "zusammen [...] eine starke hegemoniale Kombination", so Scholte. Allerdings bleibt eine grundlegende Fragilität bestehen und gibt Raum für "delegitimierende Kritiken". Ein solcheermaßen labiles Gleichgewicht ist ein starker Indikator dafür, dass eine weitere Veränderung der hegemonialen Struktur und der beitragenden Faktoren wahrscheinlich ist.
Diese Debatten werden am Kolleg fortgesetzt. Ideen und weitere Beiträge sind willkommen.
* IANA = The Internet Assigned Numbers Authority, näheres siehe bei Wikipedia.