Als Wissenschaftler und derzeitige oder ehemalige Stipendiaten des Käte Hamburger Kolleg / Centre for Global Cooperation Research (KHK / GCR21) glauben wir an den Wert der Einbeziehung multipler Perspektiven aus allen Kontinenten, wenn wir über neue Lösungen für die drängendsten Probleme der Welt nachdenken. Dieses gemeinsame Engagement erfordert es, dass wir in der laufenden Debatte in Deutschland über den kamerunischen Philosophen Achille Mbembe, der wohl einer der prominentesten Intellektuellen in Afrika ist, Stellung beziehen. Mbembe wurde eingeladen, die Eröffnungsrede beim Kunstfestival Ruhrtriennale im August 2020 zu halten. Einige Politiker, Beamte und Journalisten in Deutschland forderten jedoch, die Einladung zurückzuziehen, mit dem Argument, Mbembe "relativiere" den Holocaust und unterstütze die pro-palästinensische Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionskampagne (BDS). In der anschließenden heftigen öffentlichen Debatte wurde nicht nur Mbembe, sondern das gesamte Feld der Postcolonial Studies als "antisemitisch" beschuldigt, obwohl sich viele prominente jüdische und israelische Gelehrte wie Daniel Boyarin, José Brunner und Sidra Dekoven Ezrahi offen auf Mbembes Seite stellten.
Wir sind zutiefst besorgt über die Folgen dieser Tortur und anderer Fälle politischer Einmischung in die Autonomie kultureller und akademischer Einrichtungen in Deutschland, insbesondere darüber, wie sie sich auf die globalen Netzwerke, auf die sie sich stützen, auswirken kann. Wir stellen bereits einen abschreckenden Effekt bei Kollegen in Deutschland fest, die sich nicht trauen, Mbembe öffentlich zu verteidigen. Wir befürchten auch eine Schädigung der Beziehungen zwischen Forschungseinrichtungen in Deutschland und dem globalen Süden, insbesondere in Afrika. Als Reaktion auf die Vorwürfe gegen Mbembe haben führende internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Lila Abu-Lughod, Arjun Appadurai, Judith Butler, Wendy Brown, Etienne Balibar und Natalie Zemon Davis u.a. angekündigt, dass sie nicht mehr bereit sind, in Deutschland in Vergabekomitees, bei Konferenzvorbereitungen oder akademischen Evaluationen mitzuarbeiten, wenn sie der Meinung sind, dass ihre Entscheidungen politischer Einflussnahme unterliegen könnten (siehe https://nopoliticallitmustests.wordpress.com/pledge-opposing-ideological-or-political-interference-and-litmus-tests-in-germany/).
Ohne kritiklos alle Positionen Mbembes zu unterstützen, sind wir der Meinung, dass sein Argument, dass mächtige Akteure und Mechanismen immer mehr Menschen in einen "schwarzen Zustand" (condition nègre) zwingen, eine ernsthafte Diskussion verdient - im globalen Süden, in Europa und anderswo. Wir ermutigen daher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem globalen Süden, sich weiterhin um Stipendien zu bewerben und sich in Deutschland frei für offene Diskussionen zu engagieren. Gleichzeitig mit der Verurteilung des Antisemitismus werden wir uns weiterhin mit den postkolonialen Machtverhältnissen befassen, die akademische Freiheit und das Recht auf Meinungsverschiedenheiten verteidigen und Wissenschaftler und öffentliche Redner aus der ganzen Welt einladen, die uns helfen, die Welt, in der wir leben, besser zu verstehen - und zu verbessern.
Volker M. Heins (Mitglied des Vorstandes)
Siddharth Mallavarapu (Mitglied des wissenschaftlichen Beirats)
Wouter G. Werner (Mitglied des wissenschaftlichen Beirats)
Matthias Schuler (Geschäftsführender Direktor)
Frank Gadinger (Forschungsgruppenleiter)
Nina Schneider (Forschungsgruppenleiterin)
Christine Unrau (Forschungsgruppenleiterin)
Frank Adloff (Universität Hamburg)
Amya Agarwal (Fellow KHK/GCR21)
Galya Ben-Arieh (Nordwestliche Universität)
Morgan Brigg (Universität Queensland)
Lothar Brock (Goethe Universität Frankfurt)
Stephen Brown (Universität Ottawa)
Ayse Cavdar (Universität Marburg)
David Chandler (Universität von Westminster)
Hongming Cheng (Universität von Saskatchewan)
Larry Crump (Griffith Universität)
Claudia Derichs (Humboldt-Universität zu Berlin)
Gianluca Grimalda (Institut für Weltwirtschaft, Kiel)
Pablo Holmes (Universidade de Brasília)
Joseph Hoover (Queen Mary Universität London)
Ina Kerner (Universität Koblenz-Landau)
Kai Koddenbrock (Goethe Universität Frankfurt)
Bettina Mahlert (Universität Innsbruck)
Marianne H. Marchand (Universidad de las Américas Puebla)
Stephen Pierce (Universität Manchester)
Shirin Saeidi (Universität von Arkansas)
Klaus Schlichte (Universität Bremen)
Katrin Seidel (Max-Planck-Institut für Sozialanthropologie)
Deepshikha Shahi (Universität Delhi)
Joanna Simonow (Fellow KHK/GCR21)
Margret Thalwitz (ICARDA)