Sind Demokratien in der Lage, einen umfassenden gesellschaftlichen Wandel zu organisieren? Die Wunschliste der Befürworter einer umweltpolitischen Steuerung besteht schon seit Jahrzehnten, aber zur Überraschung vieler hat die Covid-19-Pandemie schließlich den Beweis erbracht - und tut es immer noch -, dass Demokratien erstaunlich gut in der Lage sind, im Laufe der Zeit weitreichende regulatorische Eingriffe vorzunehmen. Angesichts der Tatsache, dass Nachhaltigkeitskonzepte mehr denn je auf der Tagesordnung der internationalen Gemeinschaft stehen, ist es sinnvoll zu fragen, ob die demokratische Regierungsführung dieser Aufgabe gewachsen ist und ob sie in der Lage ist, eine Transformation perspektivisch oder auf integrative Weise zu gestalten. Eine Gruppe von Forscher*innen, darunter Ayşem Mert, Senior Fellow des Kollegs, hat nun die Ergebnisse einer umfassenden Untersuchung veröffentlicht, die zwei Forschungsliteraturen miteinander verbindet: über "Nachhaltigkeitstransformationen" und den "Demokratie-Umwelt-Nexus".
Der transformative Wandel in sozial-ökologischen Systemen ist ein umfassender Prozess mit unzähligen Wechselwirkungen zwischen Akteuren, Institutionen und der materiellen Welt. Es ist daher nicht klar, in welchem Ausmaß und in welcher Granularität ein solcher Prozess kontrolliert oder zentralisiert werden sollte oder könnte. Genau an diesem Punkt scheinen die Konzepte der "ökologischen Demokratie" und des "Öko-Autoritarismus" zu divergieren. Die Autor*innen stellen fest, dass Fragen der Demokratie und der demokratischen Legitimität bisher nur unzureichend berücksichtigt werden. In der umweltpolitischen Literatur gibt es seit langem eine Debatte darüber, ob Demokratie mit ökologischer Nachhaltigkeit vereinbar ist; ist ein institutioneller Wandel notwendig? Sind Informationen verfügbar und werden Mechanismen der Rechenschaftspflicht eingeführt? Wenn ja, auf welchen Ebenen?
Die Autor*innen stellen einen integrierten Rahmen für die Untersuchung verschiedener Konfigurationen von Demokratisierung und Nachhaltigkeitstransformationen vor. Um einen genaueren Blick auf die damit verbundenen Aussichten und Fallstricke zu werfen, konzentriert sich die Untersuchung auf fünf aus der Literatur abgeleitete entscheidende gesellschaftliche Triebkräfte der Nachhaltigkeitstransformation: "institutionelle, soziale, wirtschaftliche, epistemische und technologische Transformationen".
Was den institutionellen Aspekt betrifft, so sehen die Autor*innen die Rolle des Staates "wieder in den Vordergrund der Wissenschaft gerückt". Die Befürworter der ökologischen Demokratie fordern einen Wandel hin zu einer dezentralisierten, bürgernahen Regierungsführung, aber die Schlüsselfrage ist schwer zu beantworten, da es keine eindeutigen Belege für eine positive Korrelation zwischen demokratischem Status und Umweltleistung gibt. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft an globalen Institutionen wird ebenso kritisch diskutiert wie die Wirksamkeit des Trends, zivilgesellschaftliche Akteure in diese Beratungen einzubeziehen. Es bleibt abzuwarten, ob der anhaltende Einfluss von Industrielobbygruppen durch diesen Trend ausgeglichen wird.
Es sind Gruppen und Einzelpersonen aus der Zivilgesellschaft und dem Wirtschaftssektor, die sowohl durch Zusammenarbeit als auch durch Konfrontation versucht haben, Geschäftspraktiken durch eine Vielzahl von Mechanismen zu ändern, einschließlich Unternehmensberichterstattung, Gesetzgebung und Aktionärsaktivismus.
Die "treibenden Kräfte" machen oft beeindruckende Fortschritte, wenn Transparenz und eine umfassende öffentliche Debatte angestrebt werden, was als ein kennzeichnender Bestandteil demokratischer Systeme angesehen werden kann. Die Wissensgenerierung und -verbreitung spielt daher eine entscheidende Rolle für die Effizienz dieser "Triebkräfte", die im Abschnitt über "epistemische Transformationen" näher erläutert wird. Es scheint einen Zusammenhang zwischen "reaktionsfähigerem" Wissen und gesellschaftlichen Bedürfnissen zu geben, was verständlicherweise die öffentliche Akzeptanz und Einbeziehung fördert. Aus diesem Grund wird ein epistemischer Pluralismus positiv bewertet, da indigenes Wissen und kritische Theorien vernachlässigte Einsichten und Praktiken in einen Diskurs einbringen, der darauf abzielt, nachhaltige Lösungen zu finden. Die Autor*innen fordern auch eine stärkere Einbeziehung der Sozial- und Geisteswissenschaften an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik: Wer würde dem widersprechen!
Die Aspekte Wirtschaft und Technologie überschneiden sich zwar, aber die Diskussion über eine "Energiedemokratie" scheint hier am aufschlussreichsten zu sein. Es gibt immer mehr wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema, und auch die sozialen Bewegungen debattieren zunehmend über Technologien und Innovationen - und sind mit diesen Fragen bestens vertraut. Auch hier deutet der Überblick darauf hin, dass demokratische Aspekte in einem Schwerpunkt auf "dezentraler Innovation und Verbreitung nachhaltiger Technologien" sichtbar werden.
Der letzte Meilenstein der deutschen Energiewende war eine nationale "Kohlekommission", die sich Ende 2018 auf den Ausstieg aus dem Kohlebergbau und der Kohleverstromung in Deutschland bis 2038 verständigt hat. Zwar war die Zivilgesellschaft in der Kommission vertreten, doch waren diese Vertreter mit dem Ergebnis offensichtlich nicht zufrieden. Inzwischen - nach rund drei Jahren - steht diese Debatte vor einer deutlichen Veränderung. Die Lehre daraus könnte sein: Die Demokratie ist besser bei der Vision von Innovation und Wandel (zum Beispiel: Solar, Wind, Wasserstoff) und weniger gut beim Abschneiden alter Zöpfe (wie Kohle) aufgestellt. Die Autor*innen gehen auf dieses Thema ein. Aber auch ein Schumpeter'sches Diktum mag einem in den Sinn kommen. Prozesse der Innovation bestehen aus "kreativen" und "destruktiven" Elementen, und man könnte es als die Kunst einer integrativen demokratischen Governance bezeichnen, Wege zur Beendigung des Sektors zu finden und dabei aber etablierte Arbeitskräfte im Prozess der Transformation mitzunehmen, wenn nicht sogar die Unternehmen (Umwandlung großer Institutionen und Unternehmen entlang des Innovationspfads). Dieser soeben veröffentlichte Review liefert eine aufschlussreiche Übersicht aktueller Forschungsliteratur. Darüber hinaus haben die Autor*innen ein instruktives Rahmenkonzept entwickelt; alles in allem also eine willkommene Reflexion über den Stand dieses komplexen Forschungsfeldes und seine möglichen Perspektiven.
Martin Wolf

Jonathan Pickering, Thomas Hickmann, Karin Bäckstrand, Agni Kalfagianni, Michael Bloomfield, Ayşem Mert, Hedda Ransan-Cooper, Alex Y. Loh
Democratising sustainability transformations: Assessing the transformative potential of democratic practices in environmental governance
Earth System Governance, ISSN: 2589-8116, Vol: 11, Page: 100131
Available online: 17 January 2022 (Review article, open access)