International Practice-Forschung: Neues Buch möchte die Konturen der Debatte prägen

Drieschova, Alena, Bueger, Christian and Hopf, Ted (eds.) (2022). Conceptualizing International Practices: Directions for the Practice Turn in International Relations, Cambridge University Press.

Dieses Buch bringt die wichtigsten Wissenschaftler*innen des internationalen Praxisdiskurses zusammen, um dessen Stärken als innovative Forschungsperspektive aufzuzeigen. Die Beiträge zeigen den Nutzen von Praxistheorien bei der Untersuchung von Phänomenen der internationalen Sicherheit, der internationalen politischen Ökonomie und der internationalen Organisation, indem sie die Aufmerksamkeit auf konkrete und beobachtbare Alltagspraktiken lenken, die internationale Ergebnisse formen. Die Kapitel veranschaulichen die Überschneidungen und Beziehungen zu anderen theoretischen Ansätzen und etablieren so die Praxistheorien als eine eigenständige IR-Perspektive. Jedes Kapitel untersucht ein Schlüsselkonzept, das in der Theorie der internationalen Beziehungen eine wichtige Rolle spielt, wie z.B. Macht, Normen, Wissen, Wandel oder Kognition. Zusammengenommen belegen die Autoren, dass Praxistheorien es ermöglichen, neue Fragen zu stellen, die Aufmerksamkeit auf ungewöhnliches empirisches Material zu lenken und zu anderen Schlussfolgerungen über Phänomene der internationalen Beziehungen zu gelangen. Das Buch ist ein Muss für jeden, der sich für die aktuelle Theorie der internationalen Beziehungen und die tatsächlichen Praktiken der globalen Politik interessiert.

In ihrer Einleitung bieten die Herausgeber eine Kontextualisierung der Praxistheorien in den Internationalen Beziehungen durch eine historische Diskussion, die die Grundlagen des praxistheoretischen Denkens, seine Verbindungen und gemeinsamen Annahmen mit der vorangegangenen IR-Wissenschaft sowie die Wege, auf denen es sich grundlegend unterscheidet, aufzeigt. Mit dieser Darstellung wollen sie einigen Vorwürfen und Missverständnissen innerhalb der Disziplin entgegentreten, dass es sich bei der Praxisdiskussion lediglich um eine Wiederbelebung alter Ideen handele, dass es wenig Neues an Praxisansätzen gebe oder dass sie uns eine neue Version des Konstruktivismus präsentierten. Die Herausgeber bemühen sich, die Konturen der Debatte zu bestimmen. Sie argumentieren dagegen, einzelne Praxisansätze gegeneinander auszuspielen, und machen auf eine Reihe von Bruchlinien aufmerksam, die sich durch die Praxisdebatte ziehen.

Frank Gadinger, Forschungsgruppenleiter am Kolleg und einer der Befürworter des praxistheoretischen Ansatzes in der IR, befasst sich in seinem Beitrag mit der Normativität der Praxis, die seiner Ansicht nach "nach wie vor eine große Forschungsherausforderung für die Praxisforschung darstellt". Seiner Ansicht nach ist es vielversprechend, eine practice turn-Perspektive auf "Prozesse, Praktiken und Handlungen in der Weltpolitik anzuwenden, durch die Normen ausgehandelt, angefochten und eingebettet werden". Während die Konversation bereits zu fruchtbaren Ergebnissen geführt hat und das Spektrum an Konzepten und methodischen Instrumenten der Praxistheorie eine Bereicherung für die künftige Forschung darstellt, besteht eine große Lücke darin, dass "praxisorientierte Wissenschaftler (in Anlehnung an Wittgenstein) ontologisch nicht zwischen Praktiken und Normen unterscheiden und der Praxis ein theoretisches und methodisches Primat einräumen".

Der vorliegende Band ist der jüngste Beitrag zu einer Diskussion, die in der Forschung des Zentrums eine wichtige Rolle spielt, nicht zuletzt, weil die praxistheoretische Forschung Wert auf ein interdisziplinäres Methodeninstrumentarium legt und damit neue Perspektiven an der Schnittstelle von Disziplinen wie IR, Sozialwissenschaft, Ökonomie oder Literaturwissenschaft, um nur einige zu nennen, eröffnet.

Um die "Zeitlichkeit von Entscheidungen", aber auch die allgegenwärtigen "Urteile" in öffentlichen und privaten Räumen zu verstehen, bedarf es der Auseinandersetzung mit der realen Welt; in ihren Schlussbemerkungen scheinen die Herausgeber zu sagen, dass diese kritische Fähigkeit nicht an Algorithmen oder das bloße Testen theoretischer Thesen delegiert (ausgelagert) werden sollte. Einsicht kann "nur durch Handeln in der sozialen Welt erworben werden", oder, wie Hume es ausdrückte, durch "Handel und Gespräch" und nicht durch Beobachtung von einem idealen Standpunkt aus.


Lektürehinweis:

Christian Bueger, Frank Gadinger (2018). International Practice Theory, Cham: Palgrave Macmillan, 2nd edition,

Conceptualizing International Practices wird herausgegeben von Alena Drieschova, University of Cambridge, einer Alumna des Kollegs, Christian Bueger, University of Copenhagen und Ted Hopf, National University of Singapore.