
Zwei der Wissenschaftler des Kollegs, Frank Gadinger und Jan Aart Scholte, haben kürzlich ihr jüngstes Buchprojekt bei Oxford University Press veröffentlicht. Polycentrism – How Governing Works Today ist ein Sammelband mit Beiträgen verschiedener Wissenschaftler und Forscher aus der ganzen Welt. Der Band befasst sich mit dem Konzept des polyzentrischen Regierens und zielt darauf ab, die Erkenntnisse in "diskreten paradigmatischen Lagern" zu bündeln. Er präsentiert die Früchte intensive Forschung und wirkt gleichzeitig als Anstoß für stärkeren Transfer und Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen.
Das Kolleg war häufig Gastgeber für produktive Diskussionen und Kooperationen zwischen den beteiligten Autoren. Neben den beiden Herausgebern haben Sigrid Quack und Nina Schneider Kapitel beigesteuert, während die Senior Researcher Lauren Eastwood, Katja Freistein, Volker Heins, Patricia Rinck, und Christine Unrau für eine anregende Atmosphäre im Denkfreiraum des Kolleg sorgten. In der Liste der Autoren (siehe unten) finden sich viele ehemalige Fellows des Kollegs. Darüber hinaus erwähnen die Herausgeber auch Maryam Deloffre, Maria Koinova, Zeynep Şahin Mencütek und Jens Steffek, die die Forschungsgruppe "Polycentrism" in den Jahren 2019–2020 bereichert haben.
Abstrakt
Wie funktioniert Regieren heute? Wie geht die Gesellschaft mit drängenden Herausforderungen wie bewaffneter Gewalt, kulturellen Unterschieden, ökologischer Zerstörung, wirtschaftlicher Umstrukturierung, geopolitischen Verschiebungen, globalen Pandemien, Migrationsströmen und technologischem Wandel auf eine Art und Weise um, die (nicht) demokratisch, effektiv, gerecht, friedlich und nachhaltig ist? Dieses Buch behandelt diese Schlüsselfrage rund um das Thema "Polyzentrismus", d. h. die Vorstellung, dass das heutige Regieren verstreut, schwankend, chaotisch, schwer fassbar und kopflos ist. In den Kapiteln wird der Begriff des Polyzentrismus aus einem breiten Spektrum akademischer Disziplinen und theoretischer Ansätze heraus entwickelt. Die Leserinnen und Leser erhalten so einen umfassenden Überblick über spannende neue Denkansätze darüber, wie die Welt von heute (falsch) regiert wird. Das Buch unterscheidet vier Wissensparadigmen über polyzentrisches Regieren - organisatorische, rechtliche, relationale und strukturelle - und führt Gespräche über die Grenzen hinweg, die diese Ansätze normalerweise in getrennten Forschungsgemeinschaften halten. Dieser außergewöhnliche Austausch zwischen den Paradigmen konzentriert sich insbesondere auf Fragen der Technik (wie wird regiert), der Macht (welche Kräfte treiben das Regieren an) und der Legitimität (ob das Regieren rechtmäßig ist). Vergleiche zwischen den verschiedenen Perspektiven des polyzentrischen Regierens verdeutlichen die unterschiedlichen Schwerpunkte, Möglichkeiten und Grenzen der einzelnen Ansätze und tragen zu deren Klärung bei. Darüber hinaus ergeben sich aus den Kombinationen der verschiedenen Theorien vielversprechende neue Denkansätze zum Polyzentrismus. Durch die Beschäftigung mit dem Buch können die Leserinnen und Leser ihr eigenes Verständnis des heutigen Regierens entwickeln und dadurch zu mündigeren politischen Subjekten werden.
Stichworte: Regierungsführung, Regieren, Interdisziplinarität, Legitimität, Methodologie, Polyzentrismus, Macht, Techniken
Aus dem Vorwort:
"Dieses Buch entstand aus einer Frustration und einer Inspiration heraus. Die Frustration besteht darin, dass intelligente Menschen nicht miteinander reden. Die Inspiration besteht darin, ein solches Gespräch zu fördern. Viele Gelehrte unserer Zeit sagen viele kluge Dinge über das Regieren in der heutigen Gesellschaft. Über die verschiedensten disziplinären und theoretischen Positionen hinweg gibt es Erkenntnisse darüber, wie Regieren funktioniert, in ungeahnter Fülle und Tiefe. Wir stehen heute vor einem überwältigenden Angebot: wohl Zutaten für einen Quantensprung im Wissen.
Doch die aktuelle Forschung zum Thema Regieren bewegt sich im Allgemeinen in diskreten paradigmatischen Lagern. Was in diesem Buch als Organisationstheoretiker, Juristen, Relationisten und Strukturalisten bezeichnet wird, arbeitet getrennt, mit wenig Kontakt, begrenzter Kommunikation, noch weniger Austausch und nur seltenen zögerlichen Schritten in Richtung Kombination.
Dialoge über Unterschiede gehören natürlich zu den größten Herausforderungen des menschlichen Seins, auch für Akademiker. Die Kämpfe innerhalb einer Denkschule mögen zwar hitzig sein, aber sie finden in der Gewissheit statt, dass man sich auf vertrautem und gemeinsamem Boden bewegt. Weitaus schwieriger ist es, die Komfortzone zu verlassen und dem intellektuellen Anderen zu begegnen. In diesem Grenzbereich erfordert ein wirksamer Dialog, dass man seine Position relativiert, Macht abgibt, tief zuhört, offen lernt und sich gegenseitig verändert.
Wir Herausgeber danken unseren Autorenkollegen, dass sie sich auf das Experiment eingelassen haben, einander zu begegnen, sich auf einander einzulassen, für einander zu schreiben und sich gegenseitig zu verändern. Der lange und oft anstrengende Weg zu dieser Veröffentlichung hat von allen Mitwirkenden nicht wenig Mut, Geduld und Großzügigkeit verlangt. Gemeinsam haben wir eine bescheidene Saat der paradigmenübergreifenden Überlegungen gesät - sowohl inhaltlich als auch methodisch -, die hoffentlich in die künftige Arbeit einfließen kann".
Beitragende Autoren
Frida Beckman, Stockholm University
Christian Bueger, University of Copenhagen
Alejandro Esguerra, University of Bielefeld
Tamirace Fakhoury, Aalborg University
Frank Gadinger, University of Duisburg-Essen
Alexis Galán, University of Bonn
Lasse Gerrits, Erasmus University Rotterdam
Rosalba Icaza, Erasmus University Rotterdam
Tobias Liebetrau, Sciences Po and Danish Institute for International Studies
Philip Liste, Fulda University of Applied Sciences and University of Duisburg-Essen
Marianne H. Marchand, Universidad de las Américas Puebla
Ina Möller, Wageningen University
Henk Overbeck, Vrije Universiteit Amsterdam
Sigrid Quack, University of Duisburg-Essen
Jothie Rajah, American Bar Foundation
Nina Schneider, University of Duisburg-Essen
Jan Aart Scholte, Leiden University and University of Duisburg-Essen
Andreas Thiel, University of Kassel
Oscar Widerberg, Vrije Universiteit Amsterdam
Fariborz Zelli, Lund University