Disputing Child Labour Globally: Konferenzbericht

Disputing Child Labour Globally: Legitimation Struggles in the Past and Present

9-10 November 2022 | Internationale Konference

Gibt es einen vielversprechenden Forschungsansatz für das Thema Kinderarbeit? Was sind die (De-)Legitimationsstrategien derjenigen, die täglich damit zu tun haben, wie die Kinder selbst, die Eltern oder die Arbeitgeber? Die Konferenz Disputing Child Labour Globally: Legitimationskämpfe in Vergangenheit und Gegenwart lud verschiedene Wissenschaftler*innen ein, die historische Entwicklung der Kinderarbeit und ihrer Konventionen zu betrachten, indem sie die globale Zusammenarbeit und den Kampf um Regeln und Normen sowie die (De-)Legitimation der Kinderarbeit näher unter die Lupe nahmen.

Die historische Perspektive wird oft vergessen, ist aber notwendig. Die Betrachtung des normativen Erbes, das sich im Laufe der Geschichte herausgebildet hat, gibt Aufschluss darüber, wie sich langfristige Entwicklungen und Schwankungen im Laufe der Zeit mit den heutigen Kinderarbeitsübereinkommen vergleichen lassen. Da fundierte Analysen zur Kinderarbeit rar sind und es noch weniger Studien über den globalen Süden gibt, wollte die Konferenz vorhandene Forschungsergebnisse zusammenführen und Gegner, Befürworter und Dispute um Kinderarbeit sowohl diachron als auch synchron vergleichen. Ein weiteres wichtiges Ziel war es, die Diskussion über Kinderarbeit über die Dichotomie des globalen Nordens und Südens hinaus zu führen und die Forschung zu diversifizieren, um die Verstrickungen und Zirkulationen transnational und im Laufe der Zeit zu beleuchten. Die verschiedenen Panels behandelten Themen wie Kinderarbeitskonventionen ebenso wie weniger sichtbare Formen der Zusammenarbeit, z.B. zwischen sozialen Bewegungen und den damit verbundenen Biographien.

Marianne Dahlén, Cornelia Ulbert und Antje Ruhmann diskutierten über transnationale Organisationen und (De-)Legitimationskämpfe um Kinderarbeit, wie z.B. die International Labour Organization (ILO) als Wissensvermittlerin und das fragwürdige Erbe, das eine stärker kindzentrierte Perspektive einnehmen muss, sowie über "Dialogue Works", eine globale Kampagne zur nachhaltigen Verankerung der Beteiligung von Kindern in der Zivilgesellschaft. Die Diskussion im Plenum machte deutlich, dass bessere Strategien zur Unterstützung von Kindern, die arbeiten müssen, notwendig sind. Irene Rizzini präsentierte Daten über Kinderarbeit weltweit und verglich verschiedene Regionen, insbesondere Brasilien. Sie hob die Auswirkungen von Covid-19 auf die Zunahme des Risikos von Kinderarbeit hervor. Darüber hinaus sprach Marcela Vignoli über Kinderarbeit als Anliegen von Feministinnen und Regierungsvertretern im Falle Argentiniens vom 19. bis 20. Jahrhundert. Im letzten Panel präsentierte Heidi Morrison einen Ansatz zur globalen Vernetzung von Kinderarbeit am Beispiel des (post)kolonialen Ägyptens. Morrison behauptete, dass Großbritannien unter dem britischen Protektorat zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur geringe Investitionen in die Bildung von Kindern und in Schutzgesetze für sie getätigt habe, da Kinderarbeit der komparative Vorteil Ägyptens gewesen sei - etwas, von dem Europa aktiv profitierte.

Die Keynote von Kathryn Kish Sklar, emeritierte Professorin für Geschichte an der State University of New York, zum Thema "The Changing Place of Child Labour in Florence Kelley's Reform Agenda, 1882-1932" beendete den ersten Tag der Konferenz mit anregenden und produktiven Diskussionen. Der Vortrag von Sklar war Florence Kelley gewidmet, einer führenden amerikanischen Reformerin und Aktivistin gegen Kinderarbeit, die sich aktiv für eine Reform der Kinderarbeit einsetzte. Kelley setzte sich im US-Kongress für die Verabschiedung des Keating-Owen Child Labor Act von 1916 ein, der den Verkauf von Produkten verbot, die in Fabriken hergestellt wurden, in denen Kinder unter dreizehn Jahren beschäftigt waren.

Der zweite Konferenztag begann mit einem interessanten Vortrag von Ben White über die kolonialen Reaktionen auf die Beschäftigung von Kindern und die Debatten, die zur ersten Verordnung zur Regelung der Kinderarbeit in Niederländisch-Ostindien im Jahr 1925 führten. Gemeinsam mit Pedro Goulart und Elisabeth Anderson erörterte er den hochgradig interdisziplinären Charakter der Kinderarbeitsforschung und ihre verschlungenen Verbindungen zu anderen Bereichen und ging auf die komplexe Frage der Terminologie und der Abgrenzung zwischen Kinderarbeit und Kinderarbeit ein. Zwei zentrale Aspekte, die an verschiedenen Stellen der Debatte hervorgehoben wurden und die eine argumentative Brücke zu den Diskussionen des Vortages schlugen, waren die Notwendigkeit, zugrundeliegende Annahmen und Diskurse sowohl über Kindheit als auch über Kinderarbeit zu beachten und zu dekonstruieren, sowie die Bedenken hinsichtlich der möglichen Verallgemeinerbarkeit von Modellen und deren Anwendung auf Prozesse und Regionen im Globalen Süden.

Das nächste Panel befasste sich mit den historischen Gegnern und Verteidigern der Kinderarbeit in Asien. Boris Gorshkov erörterte Fälle von Kinderarbeit aus der Zarenzeit und später der Sowjetunion und veranschaulichte, dass Kinderarbeit auf dem russischen Land nicht nur eine weithin akzeptierte gängige Praxis, sondern auch ein integraler Aspekt der Vorbereitung von Kindern auf das Erwachsenenleben war. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion folgte eine lebhafte Diskussion über die Diskrepanzen zwischen den bestehenden nationalen und regionalen Diskursen über Kindheit und die (De-)Legitimation von Kinderarbeit und den tatsächlich angewandten Praktiken. Die Zuhörer erörterten, dass drastische Veränderungen in den staatlichen Systemen und im soziopolitischen Kontext - wie die Russische Revolution - zwar nicht unbedingt zur Abschaffung der Kinderarbeit führten, aber dennoch große Auswirkungen hatten und ihren Charakter von einem individuellen zu einem kollektiven Unterfangen, das durch die Schulbildung ergänzt wird, veränderten.    

Den Abschluss der Konferenz bildeten zwei interessante Roudtable-Gespräche, die sich mit dem Vergleich und der Verflechtung sowie mit globalen Ansätzen zur Kinderarbeit befassten. Auf dem ersten Roundtable "Comparison and Entanglement: Promises and Pitfalls for a Global History of Child Labour (Focus on Methods)" wurden logische Ansätze zur Untersuchung vergangener und gegenwärtiger Legitimationsstreitigkeiten über Kinderarbeit diskutiert. Es gibt den allgemeinen globalen Ansatz der IAO und anderer Quellen, nationale Politikvarianten, unterschiedliche Reaktionen von Unternehmen und Verbänden und die Stimmen der Kinder selbst, wie sie auf der Konferenz vorgestellt wurden, obwohl diese historisch schwer zu handhaben sind, was die Beweise angeht. Auch den erwachsenen Familienmitgliedern, die zu den Mustern der Kinderarbeit beitragen, muss mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. In der Sitzung wurden den Zuhörer*innen mögliche Ansätze für eine umfassende, globale Geschichte der Kinderarbeit vorgestellt, da es kaum wirklich verallgemeinerbare Erkenntnisse zu geben scheint. Nina Schneider stellte einige der wichtigsten Ergebnisse ihres Buchprojekts über Kinderarbeitsgegner und ihre Kampagnen in der globalen Perspektive vor, das einen Verflechtungsansatz verfolgt. Der Runde Tisch betonte die Notwendigkeit, in der Forschung Akteure und Strukturen auf der Makro- und Mikroebene in Einklang zu bringen und die globalen Verflechtungen sowie die gegenseitige Wahrnehmung und den Austausch zwischen den Akteuren auf transnationaler und regionaler Ebene zu berücksichtigen.                                           

Veranstaltungsbericht von Sabrina Pischer (pischer@gcr21.uni-due.de)


PD Dr Nina Schneider

 

Nina Schneider ist Forschungsgruppenleiterin am Käte Hamburger Kolleg/Centre for Global Cooperation Research (KHK/GCR21) an der Universität Duisburg-Essen, Deutschland. Sie promovierte in Geschichte an der University of Essex, UK, und war Gastwissenschaftlerin am Institute for the Study of Human Rights (ISHR, 2012) der Columbia University, Marie-Curie Fellow am Zukunftskolleg der Universität Konstanz (2013-2015), Gastwissenschaftlerin an der National University of Brasília (UNB, 2015) und Senior Research Fellow am Global South Studies Center (GSSC) an der Universität zu Köln (2015-2018). Ihr Buchmanuskript über die globale Bewegung gegen Kinderarbeit wird derzeit überarbeitet. Weitere Veröffentlichungen zum Thema Kinderarbeit sind "Origins of Child Rights Governance: The example of early Child Labour Legislation in the United States and Brazil", Childhood: A Journal of Global Child Research 26(3) (2019): 289-303; 'Florence Kelley's Struggle against Child Labour: Revisiting the Obstacles", Gender: Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft Bd. 3 (2022): 135-49; und 'Review: Betsy Wood, Upon the Altar of Work: Child Labor and the Rise of a ne American Sectionalism (Urbana: University of Illinois Press, 2020)," unter: https://www.hsozkult.de/review/id/reb-94439?title=b-wood-upon-the-altar-of-work. Ihr Forschungsprojekt "Child Labour Opponents in the Americas and their Campaigns in global perspective" (2020~2025) wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Derzeit ist Nina Schneider dabei, ein digitales Archiv zum globalen Kampf gegen Kinderarbeit aufzubauen.