Re-Imagining the Past – ein Konferenzbericht

Vergangene Woche hatte das Kolleg das Vergnügen, eine vielfältige Gruppe von internationalen Wissenschaftlern auf der Konferenz "Re-Imagining the Past" zu empfangen. In Zusammenarbeit mit dem Centre for Global Cooperation Research, Mitgliedern der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten und dem Centre for International Policy Studies (CIPS) an der Universität Ottawa, Kanada, ging es bei der Konferenz darum, eine gewisse "Sehnsucht nach der Rückkehr zu scheinbar besseren Zeiten" zu erforschen, die oft eine Reaktion auf wahrgenommene Verluste ist, die durch globale Kräfte außerhalb der eigenen Kontrolle verursacht werden.

Die Organisatoren Katja Freistein, Frank Gadinger, Birgit Mersmann, Christine Unrau und Taylan Yildiz von der Universität Duisburg-Essen sowie die Centre Fellows Rita Abrahamsen und Michael Williams vom CIPS definierten das Konzept der "Rückbesinnung" als einen "Prozess, durch den die Vergangenheit, oft als nationale Vergangenheit interpretiert, rückwirkend mit Bedeutung aufgeladen wird". Der Prozess erklärt, wie vage Phantasien und Imaginationen sowie spirituelle oder quasi-religiöse Verehrung von Orten, Politiken oder Personen oft mit einem mythischen Charakter durchtränkt werden.

'Re-imagining' steht in diesem Zusammenhang nicht nur für die Darstellung dessen, was zur Vergangenheit gehört. Vielmehr handelt es sich um eine kulturelle Aktivität, die als Dreh- und Angelpunkt für eine Transformation der politischen Ordnung immer auch auf die Zukunft ausgerichtet ist".

Die Interventionen zum Thema umfassten Erkundungen der materiellen Kultur, komplexer Erzählungen, Mythen, Bilder und medialer Repräsentationen. Diese sind mit der symbolischen und metaphorischen Kraft ausgestattet, vergrößerte Imaginationen der Vergangenheit hervorzurufen und können 'Legitimation für umstrittene Entscheidungen und Politiken liefern'.

Wir gehen von der Annahme aus, dass diese performative Wirkung von Symbolen in politischen Formen von Re-Imaginationen zu beobachten ist. Aus der Forschung zur Nationenbildung wissen wir, dass Symbole und symbolische Politiken Gemeinschaften bilden und Identitäten schaffen, die verbinden, aber gleichzeitig auch ausschließen'.

Die Referenten der Konferenz waren aufgefordert, sich mit einem (oder mehreren) der folgenden Bereiche symbolischer Re-Imaginationen zu beschäftigen: Geschlechterbeziehungen, Orte wie Denkmäler oder historisierte Orte, kulturell-ideologische Grundlagen von Heimat und Nation, das Reich der Natur, die Politik der Erinnerung, Religion und das Heilige.

Re-Imagining the Past umfasste auch zwei öffentliche Veranstaltungen, die sich mit denselben grundlegenden Ideen beschäftigten. Erstens präsentierte Aleida Assmann im Rahmen der 45. Käte Hamburger Lecture "Remembrance between Retrieval and Retro-projection". Zum anderen führte Eiko Grimberg seinen visuellen Essay 'Rückschaufehler / Hindsight Bias' in einer speziellen Künstlerintervention auf.

Aleida Assmann, emeritierte Professorin für britische Literatur und Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz, sprach über Erinnern und Vergessen, wie sie "in der Dynamik unseres Gedächtnisses miteinander verwoben sind". Der Vortrag regte zum Nachdenken darüber an, wie Vorstellungskraft und Erinnerung miteinander verbunden sind, sowie über das Zusammenspiel von materieller Kultur und (Re-)Imagination. Assmann bot auch eine überzeugende Erkundung, wie die Macht der Kunst die Prozesse des Erinnerns und Vergessens sichtbar machen kann.

Ebenfalls im Zeichen der materiellen Kultur stand der visuelle Essay von Eiko Grimberg, der die Architektur als Mittel zur Reimagination der Vergangenheit vorstellte. Am Beispiel der Zerstörung und des Wiederaufbaus des Berliner Schlosses zeigte Grimberg eine komplexe Bedeutung der Verwendung und Wiederverwendung von Baumaterialien im wörtlichen und symbolischen Sinne. Das Schloss war die langjährige Residenz der herrschenden Familie Hohenzollern, beginnend im 15. Jahrhundert. Jahrhundert. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude durch alliierte Bombenangriffe beschädigt und schließlich von der Regierung der DDR abgerissen. Nach dem Abriss wurden einige Teile des Palastes anderen Bauwerken zugewiesen, angeblich dem berühmten Tiergarten in Berlin. Der Wiederaufbau des Palastes begann 2013 und wurde im vergangenen Jahr abgeschlossen. Laut Grimberg ist das neue Bauwerk eine "todernste" und völlig unironische Rekonstruktion des ehemaligen Gebäudes. Vor allem die Sehnsucht, das Schloss "zurück" zu haben, sei aktiv erzeugt worden, nicht zuletzt durch die Darstellung der historischen Fassade auf dem Baugerüst der Baustelle.  
 
Ein Schwerpunkt der Konferenz war die Auseinandersetzung mit der radikalen Rechten. Populistisches Regieren profitiert in hohem Maße von seiner eigenen Version der Neuinterpretation der Vergangenheit. Der Einsatz von Bildern und Rhetorik, die eine Rückkehr zu einer idealisierten Vergangenheit heraufbeschwören, stellt eine Gefahr für die Gegenwart (und Zukunft) von Politik und Gesetzgebung dar. Entrechtete Wähler können leicht Opfer des unmittelbaren, lebendigen Rückrufs in "einfachere Zeiten" werden, in Zeiten, in denen eine imaginierte politische Situation dieser oder jener Gruppe angemessen war. Offensichtliche moderne Beispiele, die auf der Konferenz hervorgehoben wurden, waren die von Donald Trump in den USA und der Partei AfD in Deutschland. Doch wie mehrere Beiträge zeigten, werden Re-Imaginationen der Vergangenheit auch von progressiven Bewegungen kraftvoll eingesetzt.  

Durch die unterschiedlichen Beiträge wurde ein gewisser struktureller Leitfaden für die Auseinandersetzung mit der Re-Imagination der Vergangenheit erkennbar. Die Auswirkungen einer (falsch) erinnerten Vergangenheit auf die gegenwärtigen und zukünftigen Konstellationen von Politik, Gender, Opferschaft, Versöhnung, Machtverhältnissen, ja sogar darauf, wie Museen und Gedenkstätten erlebt werden, sind in ihrer Gesamtheit sicherlich schwer zu verarbeiten. Trotz dieser Schwierigkeit boten die Konferenz, ihre Organisatoren sowie die Vortragenden so etwas wie einen Fahrplan für die Navigation durch das komplexe Zusammenspiel von Symbolik, Psychologie, individuellen und kollektiven Zielen und materieller Kultur, wie sie durch Re-Imaginationen der Vergangenheit verkörpert und erzählt werden.

Mehrere Referenten der Konferenz teilen ihre Einsichten und Perspektiven zum Thema in Beiträgen auf dem CIPS-Blog (https://www.cips-cepi.ca/blog-2/) und in kurzen Videointerviews.