4. Februar 2014
Das Modell des „homo oeconomicus“ basiert auf einer schwachen Hypothese und hilft nicht weiter, um die aktuellen Herausforderungen von Gewalt, Ungleichheit und der Zerstörung des Planeten anzugehen. Daher ist ein alternatives Denkmodell notwendig, auf der Grundlage einer alternativen Anthropologie, die die Interdependenz des Menschen, sein Bedürfnis nach Anerkennung, Reziprozität und Solidarität anerkennt.
Diese Überzeugung führte zur Verfassung des „Manifeste convivialiste“, das 2013 von einer Gruppe französischer und internationaler Intellektueller lanciert wurde. Ihr Ziel war es, den gemeinsamen Nenner zu formulieren, auf den sich die verschiedensten einer „anderen Welt“ verschriebenen Bewegungen einigen können.
Diese These vertrat auch Alain Caillé während des Workshops „Von der ‚Gabe‘ zum ‚Manifeste convivialiste‘“, der am 4. Februar 2014 am Käte Hamburger Kolleg / Centre for Global Cooperation Research stattfand. Caillé, einer der Hauptinitiatoren des „Manifeste Convivialiste“, hatte die Hauptprinzipien des Manifests bereits einen Tag zuvor bei einem öffentlichen Vortrag am KWI in Essen präsentiert. Während des Workshops am Kolleg widmete er sich den theoretischen und anthropologischen Prämissen des Manifests: Dazu gehört das Paradigma der Gabe, das auf den Anthropologen Marcel Mauss zurückgeht. Laut Mauss bildet das Zusammenspiel von Geben, Nehmen und Erwidern die Grundlage des sozialen und kulturellen Lebens. Dieses Paradigma wurde vom „Mouvement Anti-Utilitariste dans les Sciences Sociales“ (M.A.U.S.S.) aufgenommen – einer Gruppe anti-utilitaristischer Sozialwissenschaftler, die von Caillé selbst 1981 mitgegründet wurde.
Caillés Thesen wurden von der Sozialphilosophin Elena Pulcini und dem Kulturanthropologen Mario Schmidt diskutiert. Pulcini signalisierte ihre grundsätzliche Übereinstimmung mit den Prinzipien des „Convivialisme“. Allerdings verwies sie auf das Problem, wie das Potential eines angenommenen „homo donans“ trotz der bekannten Mechanismen des Verdrängens und Verleugnens, die die Menschen angesichts fernen – und zukünftigen – Leidens ausgebildet haben, in eine konkrete Praxis der Sorge überführt werden könnte. Mario Schmidt hingegen stellte das gesamte Unterfangen in Frage, auf der Grundlage von Marcel Mauss‘ Ausführungen eine allgemeine anthropologische Theorie zu konstruieren, und gab zu bedenken, dass Marcel Mauss selbst ein ausdrücklich konstruktivistischer und relativistischer Denker war. Laut Schmidt betonte Mauss immer wieder die Bedeutung von Kontexten und die Schwierigkeiten „korrekter“ Interpretation.
Es entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, die hauptsächlich um die Frage kreiste, ob irgendeine Form von nicht-ambivalenter anthropologischer Theorie notwendig ist, um die „realen“ Herausforderungen der Menschheit angehen zu können. Alain Caillés Antwort auf diese Frage lautete, dass ein allgemeines Modell ohnehin bereits nicht nur die Wirtschaftswissenschaften, sondern auch das soziale und philosophische Denken dominiert, nämlich das des „homo oeconomicus“. Alternative Modelle mit einem vergleichbaren Grad von Allgemeinheit sind daher laut Caillé notwendig, allein schon, um die Hegemonie eines Paradigmas zu schwächen, das nicht nur in Philosophie und Wissenschaft, sondern auch in der Welt im Allgemeinen viel Schaden angerichtet hat.
Zeit: 11:00 - 13:00h
Ort: Konferenzraum, Centre for Global Cooperation Research, Schifferstr. 44, Duisburg